Preisträger

Unterricht innovativ
2020
1. Preis

„Forschen und Entwickeln!“

Daniela Heinrich-Stiller

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Projektbeschreibung

Im Rahmen des Moduls „Forschen und Entwickeln“ der Jahrgangstufe 10 im Wahlunterricht Chemie wurde im Rahmen des Projektes „Modifikation von Stärkefolie“ der Frage nachgegan­gen, ob sich aus Stärke, als pflanzlichem Rohstoff, auch Verpackungen herstellen lassen, die unterschiedliche Ansprüche wie Festigkeit, Elastizität oder gar Essbarkeit erfüllen und eventuell manche Plastikverpackungen substituieren können.

Ausgangspunkt der Recherche war, dass bereits diverse Hersteller von Toilettensteinen oder Spülmaschinentabs Folie aus wasserlöslicher Stärke als Verpackung verwenden. Stärke als Speicherstoff der Pflanzen findet sich besonders viel in der Kartoffel oder auch in vielen Küchen in Form von Mais- oder Speisestärke.

Die Herstellung des Grundrezeptes der Stärkefolie erfolgte nach dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip, wobei in Plenumsphasen gelungene Gruppenergebnisse besprochen und von allen Schüler:innen entsprechend aufgenommen wurden.

Die Idee der Essbarkeit faszinierte die Gruppe, sodass fast alle weiteren Versuche in der Schul­küche stattfanden, wobei zur kochenden Stärkelösung pro Ansatz z. B. Salz, Öl, Honig oder Zucker hinzugegeben wurden.

Eine der ersten Hypothesen lautete: Weiche Zutaten lassen die Folie weich werden, harte Zutaten sollten zu einer gewissen Stabilität führen. Probleme mit der Verarbeitung der Folie stellten die Gruppe vor weitere Fragen. Die Tatsache, dass Honig die „Folie“ vor dem Verschim­meln schützt, wurde von einer Gruppe weiter untersucht (Enzymatik) und das neue Folienrezept entsprechend verbessert. Entgegen der Hypothese waren die Produkte mit Zucker weich und dehnbar, die Folien mit Salz steinhart und die Lösungen, die Öl enthielten, haben sich entmischt.

Die Grundfrage nach der Abbaubarkeit der entwickelten Folien hat eine weitere Schüler:innen-Gruppe bearbeitet: Sie entwarfen unterschiedliche „Ökosysteme“, in denen der Abbau der eige­nen Folien mittels natürlicher Erdorganismen und Mistwürmern aus dem Schulgarten, im Gegen­satz zu einem Ansatz mit abgekochter Erde, beobachtet werden konnte.

Honigfolie
Honigfolie
Folien-Herstellungsprozess

Das Besondere:

Die Schüler:innen sind medial und teilweise auch emotional mit der Umweltproblematik – spä­testens seit Greta Thunberg – konfrontiert. Grundsätzlich wissen sie alle, dass Plastik nicht ver­rottet und sich als kleinste Mikro- und Nanopartikel auch auf unseren Tellern wiederfindet. Selbst etwas daran zu ändern, indem man Forschung mit Rückschlägen wie Erfolgen selbst betreibt und nicht nur auf Plastiktüten verzichtet, war für viele der Schüler:innen eine gänzlich neue Erfahrung!

Durch die Experimente zum Abbau der Folien und den regelmäßigen Austausch der Projekt­gruppen untereinander konnten sich die Schüler:innen gegenseitig für einen nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen sensibilisieren.

Im Unterricht angesammeltes Wissen kam zur Anwendung und blieb nicht bloß graue Theorie. In Bezug auf die Berufs- und Arbeitswelt wurde klar, dass Kommunikation ein starkes Werkzeug ist, um aus den Fehlern der Anderen zu lernen. Überhaupt hat hier der Umgang mit Fehlern eine besonders positive Relevanz erhalten, da Fehler nicht zu Nachteilen, sondern zu Vorteilen geführt haben. Dies kann als einer der größten persönlichen Gewinne für die Schüler:innen betrachtet werden.

Diese Form von Projektunterricht leistet sicherlich einen enormen Beitrag zur dringend notwen­digen Öffnung der Schulen hin zur Realität (Arbeitswelt), zeigt Schüler:innen die Sinnhaftigkeit der schulischen Inhalte durch Verknüpfung der Fachgebiete, beansprucht aber auch viel Zeit und arbeitet gegen das Homogenitätsprinzip.

Die Wirksamkeit von schulischem Tun und Forschergeist ist fünf Schülerinnen und einem Schüler durch die Teilnahme am Regionalwettbewerb „Jugend forscht“ 2020 in Lollar bewusst geworden, bei dem die „Honigfolie“ und der Abbau der Folien in Ökosystemen vorgestellt wur­den. Zudem haben die Schüler:innen ihre „Folie mit Autodesinfektionswirkung“ zum Patent angemeldet. Es steckt die Idee dahinter, die Folie als Auflage für Brandwunden zu verwenden.

Kontakttest der Prototypen mit Ketchup, Majo und Öl
Essbare Schokofolie

Erfahrungen und Ergebnisse:

„Eine Forscherfrage entwickelt sich wie ein Baum, dessen Krone aus neuen Ideen entsteht, die wiederum in verschiedene Richtungen wachsen“ (Grundsatz zur Durchführung des Moduls „Forschen und Entwickeln“ im Wahlunterricht Chemie im Jahrgang 10)

Das Innovative an diesem Konzept war für die Schüler:innen, dass der Unterricht zwar ein grobes Ziel (Folie aus Stärke mit verschiedenen Eigenschaften herzustellen) hatte, jedoch auch offen für Neuerungen und Verbesserungen ist. Durch die genaue Dokumentation der Versuche und deren Ergebnisse übernimmt die Kurzgemeinschaft auch Verantwortung für das Gelingen der Folienherstellung der anderen Gruppen, indem in regelmäßigen Plenumsphasen gelungene Produkte vorgestellt wurden.

Nach dem Motto „Was weiß und kann ich nach der heutigen Stunde mehr bzw. besser?“ ent­wickelte sich für jede Schülerin und jeden Schüler ein Lerntagebuch, welches gleichzeitig als Laborjournal oder Lernportfolio genutzt werden konnte. Vor allem für die schriftlichen Arbeiten zum Wettbewerb „Jugend forscht“ waren diese persönlichen Aufzeichnungen sehr nützlich. Gleichzeitig gaben diese Notizen Einblicke in den Lernfortschritt der einzelnen Schüler:innen.

Die Erfahrungen der Schüler:innen, die das Modul „Forschen und Entwickeln“ absolviert haben, wurden in der abschließenden Evaluation sehr positiv geschildert. Aus unterrichtlicher Perspek­tive muss der Zugewinn des Moduls allerdings für jeden einzelnen Schüler differenziert betrach­tet werden: Innerhalb dieser Projektarbeit sind alle Schüler:innen mit dem gleichen Ziel gestartet, haben sich dann jedoch schnell in unterschiedliche Richtungen bewegt.

Die große Zahl an fachwissenschaftlicher Recherche (Bindungstypen und Wechselwirkungen, organische Stoffe, Enzymatik, Ökologie und Stoffkreisläufe, Materialwissenschaften, Physiologie des Schimmels, Medizintechnik u.a.) zeigt den Schüler:innen die Multidimensionalität der MINT-Fächer und fördert das Denken in Zusammenhängen über fachliche Grenzen hinaus.

Kurz vor der Aushärtung wird die Folie in eine Form gebracht
Pommes-Schale

Aus den Gutachten:

Herausragend sind die genaue Planung des Unterrichtsvorhabens sowie die selbstständige Teamarbeit der Schüler:innen. Das entdeckte Lernen wirkt besonders motivierend, da Lösungs­strategien zu einem aktuellen Problem entwickelt werden. Damit ist die Unterrichtsidee im höchs­ten Maße innovativ, zumal sie sich auch leicht übertragen lässt.

Eckdaten

Schule: Gymnasium Lahntalschule in Biedenkopf
Bundesland: Hessen
Jahrgangsstufe: 9 und 10 Wahlunterricht
Fächer: Biologie und Chemie
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